“Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“

Konrad Wolff – Meine Lehrzeit als Elektroinstallateur in Oeventrop

Am Montag, den 02. April 1951, begann meine Lehrzeit bei meinem Lehrmeister Johann Kossmann, Kirchstraße Nr. 23 in Oeventrop. Er hatte seine Meisterprüfung als Schlossermeister in Berlin abgelegt und später noch in Arnsberg als Elektromeister seine Prüfung bestanden.

Am gleichen Tage wie ich begann auch „Kohlen Hansi“ seine Lehre bei Hubert Gebhard auf der Kirchstraße.

In der Nachkriegszeit waren Lehrstellen Mangelware. Da ich aber nur Interesse an einem technischen Beruf hatte, suchte mein Vater sehr lange, bis er in Oeventrop bei „Kossmanns Johänneken“ –wie mein Lehrmeister überall genannt wurde- endlich etwas für mich fand. Das Ganze hatte nur einen Haken! Ich wohnte mit noch 8 Geschwistern in Dreisborn, Oelinghauser Heide, auf einem Bauernhof. Morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit und abends wieder nach hause war nicht möglich. Deshalb war ich sehr froh, dass ich bei meinem Lehrmeister auch wohnen konnte.

Ich war erst 15 Jahre alt, und die Trennung von meinen Eltern fiel mir sehr schwer. Ich schlief von nun an in einem kleinen Dachzimmer ohne Waschbecken. Eine Toilette gab es im Treppenhaus eine Etage tiefer, eine Dusche gab es nicht. Waschen konnte ich mich morgens in einem kleinen Spülstein mit kaltem Wasser in der Werkstatt. Das war besonders im Winter kein Vergnügen.

Das Frühstück im Esszimmer bestand jeden Morgen um 07.00 Uhr aus einem halben Marmeladenbutter und die andere Hälfte mit Griebenschmalz. Wurst habe ich nie gesehen, ganz selten gab es mal einen Teller Milchsuppe. Eine Tasse mit „Spitzbohnenkaffee“ gab es aber auch. Danach ging es an die Arbeit.

Josef Berkenkopf arbeitete ebenfalls bei Kossmanns. Er machte sich ein halbes Jahr später selbständig. Als Geselle arbeitete noch Josef Schulte aus Freienohl bei uns.

Die tägliche Arbeitszeit war von 07.30 Uhr morgens bis 18.30 Uhr abends. Zum Mittagessen kam ich immer „nach hause“. Nach dem Abendessen hatte ich frei – es sei denn, ich musste mit in den großen Garten in der Wunne.

Einmal in der Woche hatten wir in der Sauerschule in Arnsberg Berufsschule bei Gewerbe-Oberlehrer Arnoldi bis 16.00 Uhr. Danach schnell mit dem Fahrrad nach Oeventrop, denn bis 18.30 Uhr musste ich wieder arbeiten.

Auch am Samstag wurde vormittags gearbeitet. Nach dem Mittagessen – es gab jeden Samstag Erbsensuppe von der dünnsten Sorte, nicht wie wir es heute gewohnt sind – kamen Werkstatt aufräumen, Straße fegen und Auto waschen. Wobei mir das Letzte immer gut gefiel, durfte ich doch das Auto –einen Opel P 4 Baujahr 1938- aus der Garage auf die Straße und anschließend wieder unfallfrei in die Garage fahren. Einen Führerschein hatte ich selbstverständlich noch nicht…

So gegen 15.00 Uhr hatte ich dann frei, und ich konnte mit dem Fahrrad nach Hause –nach Dreisborn- bis zum Montagmorgen.

Hatte ich etwas besonders gut gemacht oder Samstags länger im Garten mitgeholfen, gab es schon mal einen Kinobesuch spendiert! Erste Reihe vorn, „Rasierplatz“ genannt, für 80 Pfennig. Das Kino lag über der Oeventroper Brauerei und war über eine Außentreppe zu erreichen. Wenn ein guter Film gezeigt wurde, standen die Besucher in langer Schlange oft bis zum Kriegerehrenmal. Fernsehen gab es noch nicht.

Der erste Schwarz-Weiß-Fernseher in Oeventrop stand bei Wreden in der Wunne und im Gasthof Kossmann in Glösingen. Um überhaupt ein Bild zu sehen, wurden große Antennen auf dem Dach montiert. Die Umsetzer auf dem Küppel und in Dinschede kamen erst später.

Unter dem Kino war eine Kegelbahn. Die Kegel wurden von einem Kegeljungen von Hand wieder aufgestellt. Manchmal durfte ich auch aushelfen – für 50 Pfennig den Abend. Das Bier für die Kegler wurde bei Berens gegenüber gezapft und auf einem Tablett über die Straße zur Kegelbahn gebracht.

Taschengeld hatte ich selten, denn mein Arbeitslohn im ersten Lehrjahr betrug nach Abzug von Kost und Unterkunft gerade mal 50 Pfennig pro Woche. Im zweiten Lehrjahr gab es schon 3 DM pro Woche und im dritten Lehrjahr dann 5 DM pro Woche. Trinkgeld bei Kunden war selten – mal 10 Pfennig oder eine lose Zigarette aus der Packung. So lernte ich auch das Rauchen (mit 18 Jahren).

Unsere Hauptkunden waren die drei Oeventroper Stuhlfabriken. Auf der größten Stuhlfabrik, der Sauerländer, kannte ich mich bestens aus. Vom dortigen Elektromeister „Rismeiers Heini“ habe ich viel gelernt.

Zu Beginn meiner Lehre gab es in ganz Oeventrop noch 110 Volt. Erst 1952 wurde für alle (außer auf dem Lattenberg) von VEW auf 220 Volt umgeschaltet. Das gab viel Arbeit für uns. In jedem Haus mussten alle Glühbirnen ausgewechselt und vorhandene Bügeleisen oder Waffeleisen auf 220 Volt umgebaut werden. Ein normaler Haushalt hatte aber noch keine anderen elektrischen Küchengeräte. Staubsauger oder andere Motoren wurden von der Ankerwickelei Ernst Feldmann auf der Südstraße neu umgewickelt.

Die Straßenbeleuchtung bestand aus wenigen Leuchten. Auf der Kirchstraße und auf der Kreuzung B7/Kessler/Berens hingen drei schwere Gusseisenlampen. Zum Wechseln der Glühbirne wurde der Verkehr angehalten, die Lampe mit einer Kurbel heruntergedreht und anschließend wieder hoch gekurbelt.

Gerne erinnere ich mich an Arbeiten auf dem Rittergut Cosack in Wildshausen. Dort gab es mittags für die Handwerker immer ein Essen. In der Gesindestube – mit den anderen Arbeitern zusammen – ließen wir es uns schmecken, denn Hunger hatte ich immer.

Wenn im Sommer das Obst reifte, kam unsere Zeit. Zusammen mit gleichaltrigen Jungen von der Kirchstraße und dem Oemberg besuchten wir im Dunkeln den Kirschbaum von Schmidt´s Bauer oder den Birnbaum von Schültke´s Theo. Nur der große Sommerapfelbaum hinter dem Gasthof Stemann wurde streng bewacht. Das sollte aber kein Hindernis für uns sein, denn von der Schmiede Zacharias bis in Stemann´s Garten verlief ein großes Abwasserrohr. Durch einen Kontrollschacht in Kossmann´s Garage krochen wir öfter durch das Rohr bis zu dem Apfelbaum und bedienten uns heimlich. Gleich daneben war die alte Kegelbahn, auf der aber nicht mehr gekegelt wurde. Nur der Maler Herman Springborn hatte darin sein Atelier (?) und durfte uns nicht sehen.

Schlechte Erinnerung habe ich an Arbeiten im Gasthof Schürmann auf dem Lattenberg. Für eine Elektroarbeit musste ich Werkzeug und Material zusammenstellen und mit dem Fahrrad hinauf zum Lattenberg fahren. Oben angekommen, hatte ich leider die Gasmaskenbütte mit Gips vergessen. Mein Meister schickte mich wieder nach Oeventrop, um sie zu holen. So konnte ich an einem Tag den steilen Lattenberg zweimal hoch strampeln. Wie gerne hätte ich ein Fahrrad mit einer 21-Gang-Schaltung besessen – leider war die noch nicht erfunden.

Mein Lehrmeister war auch ein passionierter Jäger. In meiner Freizeit durfte ich öfter als Treiber mit auf die Treibjagd oder zum Hochsitze-Bauen in der Bauernjagd hinter dem Glösinger Handweiser. Stolz durfte ich dann den Opel P 4 den Herfweg hoch fahren. Der große Belgische Jagdhund, „Kossmann´s Brack“, saß dann immer in einer Kiste hinten auf dem Kofferträger.

Autos gab es nicht viele in Oeventrop. An einen BMW Dixi bei Schwer und einen großen „Wanderer“ von Schönerts auf dem Glashüttenweg erinnere ich mich noch. Der alte Holzvergaser-LKW von Mertins stand bei Schmidt´s Bauer in der Scheune. Er hatte als Treibstoff kleine Buchenholzklötzchen. Diese wurden in einem Kessel auf der Ladefläche verbrannt. Das dabei entstandene Gas, „Klötzchenbenzin“, trieb den LKW an, denn anderer Treibstoff war noch selten.

Die erste holzbefeuerte Miele-Waschmaschine durfte ich im Gasthof Becker in Dinschede anschließen. Sie war fest eingemauert. Über einer Feuerstelle war ein Kupferkessel, der –von einem Motor angetrieben- sich mal rechts, mal links drehend, die Wäsche säuberte.

Ganz in der Nähe war das Sägewerk Bohleber. Auf dem Gelände wurde später das „Haus Dinschede“ gebaut.

Wenige Oeventroper Geschäftsleute hatten ein Telefon. Es war an das Amt Freienohl angeschlossen. Die Vorwahl 02937 gab es noch nicht. Der Telefonapparat hatte keine Wählscheibe, dafür aber an der Seite eine Kurbel. Wurde diese betätigt, meldete sich das „Fräulein vom Amt“ in Freienohl und vermittelte von Hand den gewünschten Teilnehmer. Nach dem Gespräch wurde noch mal kurz gekurbelt, und das „Fräulein“ trennte die Gesprächsteilnehmer. Wie man die Kosten für das Telefonieren berechnete, weiß ich nicht.

Am 20. März 1954 bestand ich in Arnsberg meine Gesellenprüfung mit einem sehr guten Ergebnis. Ich war nun Geselle- doch das war auch alles. Arbeit als Elektroinstallateur gab es wenig. Es lohnte sich auch kaum, denn der Stundenlohn im ersten Gesellenjahr betrug gerade mal brutto 94 Pfennig. Deshalb fand ich eine neue Arbeit in Dortmund-Huckarde auf der Zeche Hansa als Elektriker unter Tage. Meine Werkstatt war 760 m unter Tage, die Zeche selbst beschäftigte 4.200 Bergleute.

Doch das ist eine andere Geschichte!

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