Eröffnungsrede zur 1. Ausstellung von Ludwig Hoppe

Zur Ausstellungeröffnung

Historische Einblicke in Oeventrops Industrie und Handwerk“

16. November 2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

verehrte Oeventroper Bürger,

liebe Mitarbeiter im Arbeitskreis,

mein letzter Satz in der Gründungsversammlung des Arbeitskreises Ortsgeschichte Oeventrop – morgen auf den Tag genau vor 2 Jahren – war:

„Was aus dieser Initiative einmal werden wird, darüber zu spekulieren ist müßig. Packen wir es an!“

Jetzt wissen wir, was daraus geworden ist: eine erste kleine Ausstellung, ein erster kleiner Einblick in das, was wir zusammengetragen haben. Was wir zeigen, ist noch bruchstückhaft, wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit.

Denn je länger wir uns mit dem einen oder anderen Aspekt aus der Vergangenheit unseres Ortes beschäftigen, desto mehr Arbeitsfelder tun sich auf, desto mehr Wissenslücken stellen wir fest.

Zu viele Zeitzeugen sind verstorben, zu viele Dokumente sind aus Unkenntnis, manchmal auch aus Gleichgültigkeit, entsorgt und im Container gelandet.

Und doch ist es verwunderlich, was an Zeitdokumenten nach systematischem Suchen im Stadtarchiv oder durch zufälliges Entdecken auf dem Dachboden, im Keller, im alten Schuhkarton zu Tage gefördert wird und uns zur Verfügung gestellt wird.

Oft tut sich im Unscheinbaren, im scheinbar Wertlosen persönliche oder große Geschichte auf.

Ich möchte dies stellvertretend an 4 Beispielen kurz beschreiben.

Da bringt jemand die Lohntüte seines Vaters vom 3.8. 1923, ausgestellt vom Kontor der Glashütte Schönert. Darauf steht mit spitzer Feder fein säuberlich geschrieben der Monatsverdienst in Höhe von 5.026.993,00 Mark, die Steuerabgaben betrugen 406.699,00 Mark, für die Krankenkasse zahlte er 87.057,00 Mark, abzüglich weiterer Abgaben blieb ihm ein Reinverdienst von 3.845.196,00 Mark. Ein reicher Mann, ein armer Mann. Inflationszeit. Vielleicht bekam er dafür ein Brot – wenn er nur rechtzeitig beim Bäcker war.

Nebenan liegt eine Papiertüte von der HIAG für 1 kg „beste rauch- und dunstfreie Buchen-Retorten-Holzkohle“ Marke „Sparglut“, die als Bügel-(Plätt)-Kohle diente, wie auf der Tüte verzeichnet.

So tut sich mit dieser einfachen Papiertüte die gute, alte Welt der Hausfrau zu Urgroßmutters Zeit auf, die vielleicht doch nicht so gut war. Mit dem Plätteisen, gefüllt mit glühender Holzkohle, war Bügeln schwere Hausfrauenarbeit, eine heiße Angelegenheit, oft mit Brandstellen an Händen oder – was schlimmer war – am Bügel Gut.

Das elektrische Dampfbügeleisen mit Bügelstation war noch in weiter Ferne.

Auf dem Nachbartisch gibt eine Fotografie die Momentaufnahme vom Bau des Gleisanschlusses zur Zellstofffabrik Wildshausen wieder: Männer mit Hacke und Schüppe, Feldloren, Pferdefuhrwerke, eine meterhohe Erdböschung. So hackten und schaufelten sich die Altvorderen in die Landschaft, legten Straßen an und Eisenbahnen, bauten Brücken und Fabriken. Alles Große, vor dem wir heute bewundernd stehen oder auch als selbstverständlich hinnehmen, ist durch die Jahrhunderte auf dem Rücken und mit der Muskelkraft von Mensch und Tier geschaffen.

27. Dezember 1904, ein Postkartengruß aus Oeventrop von Paula an Julia. Der Kartengruß enthält das, was man sich so üblicherweise schreibt, für uns heute bedeutungslos.

Interessant nach mehr als 100 Jahren aber ist die abgebildete Ansicht von Oeventrop: nur wenige Häuser gab es in Oeventrop, in Dinschede. Heraus ragen die Kirche, gerade erst erbaut, und im Vordergrund die chemische Fabrik HIAG. 10 unterschiedlich hohe Schornsteine sind zu zählen. „Da rauchte der Schornstein!“, sagt man im Volksmund. Das bedeutete Arbeit und Brot für viele Dorfbewohner.

Über dreihundert verschiedene Postkarten von Oeventrop sind in den letzten 100 Jahren erschienen. Das sind 300 verschiedene Momentaufnahmen, die –unbeabsichtigt- den Strukturwandel eines Dorfes dokumentieren.

Es gibt Kartenfolgen da zählt man mehr als 15 Schornsteine im Ruhrtalabschnitt Oeventrop. Auf den letzten Postkarten sind sie alle verschwunden. Im digitalen Zeitalter gibt es keine einzige Postkarte mehr von Oeventrop

Alle hier ausgestellten Dokumente und Objekte erzählen Geschichten und damit Geschichte.

Meist ist es die Geschichte der „kleinen“ Leute: der Fabrikarbeiter, der Handwerker, der „Ungelernten“, der „Angelernten“. Ob die Geschichte der „kleinen Leute“ gut verläuft oder schlecht, ist immer die Folge der Entscheidungen der „Großen“. Ob die Fabriken schließen oder sich weiterentwickeln und expandieren, ob die Währung stabil ist oder inflationär, das trifft am nachhaltigsten die „kleinen Leute“.

„Wissen, was früher war…“ hatte S. Kessemeier seinen Vortrag beim 775jährigen Ortsjubiläum betitelt. Das trifft auch auf unsere Arbeit zu.

Wer weiß, wie es früher war und wie es sich bis heute entwickelt hat, geht mit dem Überlieferten verantwortungsvoller um und kann daraus die Zukunft gestalten. So kann und darf z.B. die Alte Knabenschule, in die über 130 Jahre die Schüler dieses Ortes gegangen sind, in der Schulgeschichte geschrieben wurde, die zurzeit unsere Bleibe ist, nicht einfach verramscht oder abgerissen werden.

„Wissen, was früher war…“, damit wir uns morgen für heutige Entscheidungen keine Vorwürfe machen müssen.

Ich wünsche dieser kleinen Ausstellung viele Besucher, interessante Gespräche, im besten Fall das eine oder andere noch unbekannte geschichtliche Dokument, an das man sich, angeregt durch diese Ausstellung, erinnert und vielleicht den einen oder anderen neuen Mitarbeiter.

Bleibt mir zum Schluss nur noch zu sagen: Die Ausstellung ist eröffnet.

Ludwig Hoppe

Foto: Franz-Josef Molitor

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